Augsburger Friedenspreis 2020 geht an Landesbischof Dr. Heinrich Bedford-Strohm und Erzbischof Reinhard Kardinal Marx

Kunstwerk Friedenspreis
Bildrechte Stadt Augsburg, R. Pössl

„Vorbildlicher Einsatz für die Entwicklung der Ökumene“

Mit Heinrich Bedford-Strohm, Landesbischof der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern, und  Reinhard Kardinal Marx, Erzbischof der Erzdiözese München und Freising fiel die Wahl der Friedenspreis-Jury auf zwei Kirchenvertreter, „die ein tiefes gemeinsames Grundverständnis teilen, im gleichen Geist denken und sprechen und sich ausgezeichnet verstehen. Beide Preisträger eint die Leidenschaft für das Vermitteln der Liebe Gottes, die allen Menschen gilt und ihnen eine unbedingte Würde und Freiheit schenkt. Durch ihren persönlichen und vorbildlichen Einsatz für die friedliche Entwicklung der Ökumene haben Kardinal Marx und Landesbischof Bedford-Strohm zum Frieden der Religionen und speziell beider großen christlichen Konfessionen beigetragen. 

Die vollständige Begründung zur Vergabe des Friedenspreises von Sie nun hier:

 

Rede von Regionalbischof Axel Piper zur Begründung
der Jury des Augsburger Friedenspreises 2020

 

Vorbilder ökumenischer Verständigung

 

Frieden braucht Gesten des Vertrauens

Wenn man unsere beiden Preisträger miteinander erlebt, zum Beispiel im Januar dieses Jahres hier im Goldenen Saal bei einem Podiumsgespräch, dann hat man das Gefühl, die verstehen sich. Wer nämlich eine Kontroversdiskussion zum Thema: „Der Beitrag der Kirchen zum Frieden“ erwartet hatte, wurde eines Besseren belehrt: Da war vielmehr ein tiefes gemeinsames Grundverständnis. Und im Gespräch legte der eine einen Aspekt von Frieden hin, der andere ergänzte, führte weiter. Und umgekehrt. Man hatte das Gefühl: Bei aller Verschiedenheit sind hier zwei Menschen, die im gleichen Geist denken und sprechen und sich ausgezeichnet verstehen.

Ob es diese Verständigung in einem Geist von Anfang an gab, weiß ich nicht. Meine Lebenserfahrung zeigt, dass Einverständnis, Vertrauen, dass Friede normalerweise Zeit braucht, ein Prozess ist. Segen und Geschenk ist ein friedliches Miteinander allemal, aber auch Arbeit: Vertrauens- oder Friedensarbeit. Die wachsende Erfahrung, dass man einander vertrauen kann. Die wachsende Gewissheit, dass mein Gegenüber ein ehrlicher, verlässlicher Partner oder Partnerin ist. Vertrauensarbeit heißt miteinander im Gespräch zu bleiben, auch um sich gegenseitig zu stützen oder Missverständnisse zu klären. Kennzeichnend für das gemeinsame Vertrauen ist, dass man im Miteinander Spannungen abbauen kann, und die Gewissheit, dass es sich für beide Seiten lohnt am und für ein friedliches Miteinander zu arbeiten. Und wenn zwei Menschen zugleich für Gemeinschaften, Institutionen, oder Nationen stehen, dann wirkt diese Friedensarbeit vorbildhaft, ansteckend, inspirierend.

Mir hat sich eine politische Friedensgeste fest in meinem Gedächtnis eingebrannt. Es ist ein Bild. Ein Bild, das 1984 um die Welt ging: Da stehen der damalige, französische Staatspräsident Francois Mitterand und der deutsche Bundeskanzler Helmut Kohl vor einem mit Kränzen flankierten Sarg und halten sich bei der Hand. Der schlanke Sozialist und Franzose und der kräftige, große, konservative und Deutscher. Sie stehen auf dem Soldatenfriedhof von Douamont nahe von Verdun, ein Symbol der ehemaligen Feindschaft beider Nationen und der Sinnlosigkeit, Ungerechtigkeit und Brutalität des Krieges. Da stehen sie, Hand in Hand. So wie es Menschen tun, die im Schmerz vereint sind. „Wir haben uns versöhnt. Wir haben uns verständigt. Wir sind Freunde geworden,“ hieß es in der damaligen kurzen gemeinsamen Erklärung beider Politiker, die im Namen beider Nationen sprachen. Es braucht solche Friedensgesten. Wie Wegmarken, dass der Prozess auch im Nachhinein sichtbar bleibt, als Selbstvergewisserung und als Sicherheit, dass man nicht mehr zurück kann und will.

Es gibt diese Vertrauensgesten auch in der Geschichte der christlichen Religionen. Der Religionsfriede von 1555 in Augsburg zum Beispiel. Damals wurde der evangelischen Konfession die Gleichberechtigung mit der katholischen garantiert. Die Fürsten konnten für sich und ihre Untertanen bestimmen, welche Religion in ihrem Einflussbereich galt, und die Untertanen konnten dementsprechend umsiedeln. Immerhin. Die Unterzeichnung der gemeinsamen Erklärung zur Rechtfertigung 1999 war eine kleinere, aber wichtige Vertrauensgeste. Wurde doch Frieden geschlossen über die theologisch Hauptstreitfragen der Reformation - natürlich in Augsburg.  

Die Gesten des Miteinanders, des Friedens, des Vertrauens, der Freundschaft sind auch heute noch auf dem Feld der Ökumene unendlich wertvoll - und wirkungsvoll. Gesten des Miteinanders in Bild und Wort auch unserer Preisträger des Augsburger Friedenspreises 2020 zwischen dem Erzbischof von München und Freising und bis vor kurzem Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz und Landesbischof der Evang.-Luth. Kirche in Bayern und Ratsvorsitzender der Evangelischen Kirche in Deutschland.

 

Die Preisträger

Der Ratsvorsitzende der EKD und Landesbischof der Evang.-Luth. Kirche in Bayern
Dr. Heinrich Bedford-Strohm:

1960 geboren in Memmingen, verheiratet mit Deborah Bedford-Strohm, und Vater dreier Kinder. Nach dem Studium der Theologie in Erlangen, Heidelberg, Berkeley (USA) folgte die Assistenzzeit am Lehrstuhl „Systematische Theologie und Sozialethik“ in Heidelberg. Dann das Vikariat und die Promotion mit dem Thema „Vorrang für die Armen“. Im Anschluss eine Gastprofessur in New York, danach war Heinrich Bedford-Strohm Pfarrer in Coburg. Die Habilitation an der Universität Heidelberg trägt den Titel: „Gemeinschaft aus kommunikativer Freiheit. Sozialer Zusammenhalt in der modernen Gesellschaft. Ein theologischer Beitrag“.
Von 2004-2011 war er Inhaber des Lehrstuhls für Systematische Theologie und Theologische Gegenwartsfragen an der Universität in Bamberg. Davon 3 Jahre auch Dekan der Fakultät Humanwissenschaften an der Universität Bamberg.

Seit 2011 ist er Landesbischof der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern (ELKB) und seit 2014 Ratsvorsitzender der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD).

Und neben vielen, vielen weiteren Ämtern ist Landesbischof Bedford-Strohm auch Mitglied der „Ökumene-Kommission der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands (VELKD) und der Deutschen Bischofskonferenz“.

Außerdem ist er Mitherausgeber u.a. der Zeitschrift „Chrismon“.

 

Der Erzbischof von München und Freising,
Reinhard Kardinal Marx

1953 geboren in Geseke/Westfalen, nach dem Studium der Theologie und Philosophie in Paderborn, Paris, Münster und Bochum folgte 1979 die Priesterweihe in Paderborn. Nach dem Vikariat in Bad Arolsen wurde er Geistlicher Rektor des Sozialinstituts Kommende des Erzbistums Paderborn. Nach weiteren Studien und der Promotion zum Thema „Ist Kirche anders? : Möglichkeiten und Grenzen einer soziologischen Betrachtungsweise“ wurde er Direktor des Sozialinstituts Kommende in Dortmund.

1993 wurde er zum Monsignore. 1996 – 2002 war er Professor für Christliche Gesellschaftslehre an der Theologischen Fakultät in Paderborn.

Der Ernennung und Weihe zum Titularbischof von Pedena und Weihbischof in Paderborn folgte die Ernennung zum Bischofsvikar und 2001 zum Bischof von Trier. 2007 wurde er zum Erzbischof von München und Freising berufen und 2010 in das Kardinalskollegium aufgenommen.

Neben den vielfältigen Ämtern und Ehrenämter, ist Kardinal Marx in eine achtköpfige Kardinalsgruppe zur Beratung von Papst Franziskus bei der Leitung der Weltkirche berufen worden und war von 2014 bis 2020: Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz. Im letzten Jahr wurde ihm die Ehrendoktorwürde des Institut Catholique de Paris verliehen.

 

Wir, die Jury des Augsburger Friedenspreises, werden beiden am 10. Oktober den renommierten Augsburger Friedenspreis überreichen. Beide Preisträger eint in unseren Augen bei aller Verschiedenheit die Leidenschaft für Gott und Welt: Die wissenschaftliche Theologie im öffentlichen Diskurs mit besonderem Augenmerk auf ethische Fragegestellungen und die Leidenschaft für das Vermitteln der Liebe Gottes, die allen Menschen gilt und ihnen eine unbedingte Würde und Freiheit schenkt.

Die Jury setzte und setzt sich zusammen aus OB Dr. Kurt Gribl und jetzt Oberbürgermeisterin Eva Weber, Weihbischof Dr. Dr. Losinger, Oberkirchenrat Michael Martin, Prof. Dr. Bernd Oberdorfer, Stadtdekanin Kasch und jetzt Stadtdekan Michael Thoma, Herrn Rechtsanwalt Dr. Thomas Weckbach,  Prof. Dr. Gregor Wurst, Landgerichtspräsident a.D. Dr. Herbert Veh und mir, nach Regionalbischof Michael Grabow.

 

Religion als Friedensstifterin

Zu einer vornehmlichen Aufgabe von Kirche gehört ganz im Sinne Jesu Christi, Versöhnung zu stiften. Nach Ansicht der Jury tragen die beiden Preisträger in Ihren jeweiligen Ämtern durch ihren persönlichen, authentischen und kontinuierlichen Einsatz für das verbindende und brückenbauende zwischen den großen deutschen Konfessionen und darüber hinaus bei. Im besten Sinn wirken beide auf einen „Frieden“ als lebensfördernde göttliche Ordnung und Orientierung in unserer Welt hin: Friede als notwendiges Prinzip im politischen, rechtlichen und sozialen Kontext. Dieses Prinzip des Friedens/Shalom umfasst das ungefährdete Wohlergehen, Glück, Ruhe und Sicherheit aller Menschen.

Ich erinnere mich an ein besonderes markantes Votum beim Friedensgespräch hier im Goldenen Saal in Augsburg im Januar: „Manchmal muss man sagen: Stoppt die Religion! Wenn sie gegen Menschen gerichtet ist.“, sagte Reinhard Kardinal Marx damals. Denn Religion kann Teil von Problemen sein, wo sie zu Abgrenzung und Nationalismus missbraucht wird.

Alle Religionen dienen im Kern dem Frieden. „Aber manchmal ist dieser Kern sehr verschüttet.“ ergänzte Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm und sagte dann noch: „Religion darf nicht gegen Menschen oder zum Machterhalt missbraucht werden. Die Arbeit am Frieden braucht die Kirche, weil sie alle Menschen braucht.“

 

Ökumene als Friedensarbeit

Die Jury würdigt mit dem Augsburger Friedenspreis von 2020 zwei Persönlichkeiten, die sich vorbildhaft gerade auch für die friedliche Entwicklung der Ökumene beider großer Kirchen in Deutschland eingesetzt haben. Und über unsere Konfessionen hinaus die Ökumene und interreligiösen Dialog international befördern. Damit haben sie, ganz im ursprünglichen Sinne des Friedenspreises zum Frieden der Religionen und spezieller beider großer christlichen Konfessionen beigetragen.

Im öffentlichen, freundschaftlichen Austausch beider Preisträger, der auf verschiedenen Veranstaltungen auch hier im Goldenen Saal im Januar diesen Jahres erlebbar war, wurde die Grundlage dafür gelegt, dass in Bayern und Deutschland eine deutliche Klimaverbesserung in der Ökumene stattgefunden hat.

Als Bischöfe, als Christen, als ganz normale Menschen stehen beide Preisträger dafür ein, was Paulus mit dem Satz gemeint haben könnte: Nehmt einander an, wie Christus euch angenommen hat zu Gottes Lob! (Röm 15,7).

Ganz konkret auch ist es maßgeblich den Preisträgern zu verdanken, dass die Reformationsdekade und das Reformationsjubiläum 2017 als Christusfest und damit als Fest der Gemeinsamkeit und nicht der Trennung gefeiert werden konnte.

Hier sei besonders an den offenen Briefaustausch der beiden Bischöfe im Vorfeld des Reformationsjubiläums 2017 erinnert. So fragten sich die beide Bischöfe für die deutsche Bischofskonferenz und die Evangelische Kirche Deutschlands, was denn das Reformationsjubiläum sein soll und wie es denn gefeiert werden könne? Und die miteinander erarbeitete Antwort lautetet: Kein Historienspektakel, kein Personenkult um Martin Luther, keine Betonung des damals kirchentrennenden Aspektes oder aktuellen Profilierung auf Kosten der jeweils anderen Konfession.

Nein, wir besinnen uns stattdessen auf das, was uns verbindet und konzentrieren uns auf das, was schon für die Reformatoren im Zentrum stand: Die Besinnung auf Christus, den Mittelpunkt unseres Lebens und Glaubens.

Dieses durch die Preisträger verabredete und verbürgte friedliche Miteinander entfaltete eine ökumenische Schubkraft. Dieser Friedensimpuls wurde in den Jahren um 2017 greifbare Realität.

 

Konkrete ökumenische Fortschritte

Genannt sei der öffentlich sehr aufmerksam wahrgenommene Versöhnungsgottesdienst in Hildesheim:

Auch hier eine starke Geste: Eine im Mittelgang liegende symbolische Sperre wurde von Jugendlichen zu einem Kreuz aufgerichtet. „Es gibt einen Weg heraus aus den Sperren, es gibt Wege, die Trennungen zu überwinden. Und wir haben gesehen, was der Schlüssel dafür ist: Aus der Sperre ist ein Kreuz geworden“, sagte Landesbischof Bedford-Strohm. „Ich wünsche mir, dass wir sagen können: Die Christen in unserem Land bekommt man nicht mehr auseinander“, betonte Kardinal Marx. Der anwesende damalige Bundespräsident und Pfarrer Joachim Gauck kommentierte zutiefst gerührt: „Zu den vielen politischen Wundern, die ich erlebt habe, ist nun ein geistliches Wunder hinzugekommen.“

Beide Preisträger unterstrichen: Das Reformationsgedenken ist für die Kirchen eine Selbstverpflichtung zur Einheit und zur Zusammenführung. Das geschieht durch die Christen nicht anklagend oder niedergedrückt, sondern in einer Haltung der Hoffnung und des neuen Aufbruchs. Als Christen wollen die beiden Kirchen, exemplarisch in den Bischöfen im Vertrauen auf die Kraft des Heiligen Geistes weitere Schritte auf dem Weg zur sichtbaren Einheit der Kirchen gehen.

In der Folge gab es vielerlei Versöhnungsgottesdienste, in denen deutlich wurde, dass alles, woran wir im Gegenüber der Konfessionen im Lauf der Geschichte bis heute schuldig geworden sind und schuldig geblieben sind, nicht vergessen, aber vergeben sein soll. Es folgten Selbstverpflichtungen von Gemeinden und Dekanaten, das Gemeinsame der großen Konfessionen zu pflegen und voranzutreiben.

Als Weilheimer Dekan erlebte ich selbst, wie sich katholische Pfarrer mit der evangelischen Kirche beschäftigten und umgekehrt. Vertrauen ist die Voraussetzung für Frieden. Und das Interesse aneinander die Voraussetzung für Vertrauen. Es gab etliche Vorträge zu den Themen um die Reformation, natürlich ökumenisch, gemeinsame Sitzungen von katholischen Pfarrgemeinderäten und evangelischen Kirchenvorständen, ökumenische Veranstaltungen vieler Art, phantasievoll, bunt und im gemeinsamen Geist und Gebet.
Und vielerorts gipfelte das Reformationsjubiläum in gemeinsamen Christusfesten, die nach außen wirkten und auch denen, die weit entfernt von Kirche leben, zeigten: Die katholischen und evangelischen gehören zusammen. Um es in den Worten von Präsident Mitterrand und Bundeskanzler Helmut Kohl zu sagen: „Wir haben uns versöhnt. Wir haben uns verständigt. Wir sind Freunde geworden“.

Unsere Preisträger haben dafür ihre eigenen Worte gefunden.

 

Ausblick

Nun ist dieser Friede, wie jeder Friede, gefährdet. Friede ist kein Zustand, sondern ein Vertrauensprozess, der unserer gemeinsamen Anstrengung Tag für Tag bedarf. Möge die Vergabe des bedeutsamen und geschichtsträchtigen Augsburger Friedenspreises an zwei Bischöfe Bestätigung sein für ihren erfolgreichen und vorbildhaften Weg, mehr Vertrauen zu wagen. Möge diese hohe und geschichtsträchtige Auszeichnung zugleich sie und uns alle anspornen, diesen Weg des friedlichen Miteinanders der Konfessionen entschieden und nachhaltig weiter zu gehen. Und lasse er uns dabei nicht vergessen, dass Ökumene noch weit mehr ist, als der Friede zwischen Römisch-Katholischer und Evangelisch-Lutherischer Kirche. Ökumene ist ein Prozess auch zwischen den anderen christlichen Kirchen. Und auch hier ist noch viel zu tun.

Und, dass Ökumene ein Aspekt ist auf dem Weg zu einem friedlichen, versöhnten Miteinander der Religionen und letztlich damit aller Menschen.

Wichtige Schritte sind getan. Und dafür danken wir Landesbischof Dr. Heinrich Bedford Strohm und Erzbischof Reinhard Kardinal Marx mit dem Augsburger Friedenspreis 2020.