Unsere Kreuze aushalten - Predigt von Regionalbischof Axel Piper zu Karfreitag 2021 in St. Ulrich Augsburg

RB Piper auf der Kanzel in St. Ulrich Augsburg
Bildrechte Ulrich Wagner und Kirchenkreis Augsburg

Es gilt das gesprochene Wort

 

Der zugrundeliegende Predigttext ist Mt 27,33-51. Er wird vor der Predigt gelesen

Der Tod Jesu ist lange, lange her. Aber manchmal ist einem, als wäre es gestern und heute geschehen. Als würde es immer wieder passieren in so bedrängenden und gefährlichen Zeiten. In manchmal trostlos erscheinenden Stunden des Grübelns. Oder gar hier in die Kirche, wenn ich am Karfreitag komme, den schwarzen Altar sehe und Christus am Kreuz hängen sehe. Ich sehe ihn oft, wenn ich in die Ulrichskirche oder eine andere Kirche gehe. Am Karfreitag aber sehe ich das Kreuz noch mit anderen Augen. Das ist ja der Tag seines Todes. Erst musste er in aller Herrgottsfrühe sein Kreuz auf den Ölberg schleppen, dann wurde er daran festgenagelt. Neun Uhr ist es da. Um zwölf Uhr wird die Welt dunkel, um drei Uhr nachmittags stirbt er, nach unsäglichen Schmerzen. Ist Gott da noch bei ihm? Vielleicht spürt er ihn nicht. In der Lesung zu Beginn des Gottesdienstes haben wir vom Evangelisten Johannes andere Jesus Worte gehört. Da war sein letzter Satz: Es ist vollbracht. Er stirbt wie einer, der sein Leben noch ordnen konnte. Der nicht mehr hadern muss mit seinem Tod. Der Abschied nimmt: Nicht leicht, aber doch einwilligen kann. Wieder ein anderer Evangelist, nämlich Lukas schreibt: Jesu letzte Worte waren: Vater, ich befehle deinen Geist in meine Hände. Wie gut, wenn jemand so loslassen kann. Wenn er voller Vertrauen hinübergeht. Und hier nun, im Predigttext von Matthäus nur der Schrei eines Verzweifelten, eines Gequälten.

Was stimmt nun? Ich denke mir: Alles ist richtig. Ich kenne das. Als ein Freund von mir am Ende einer qualvollen Krankheit Abschied genommen hat, gab es alles drei. In den Tagen, indem ihm bewusst wurde, dass er sterben muss, hat er von seiner Familie Abschied genommen. Hat erklärt, wo die Banksachen und Versicherungen sind, was zu tun ist, woran zu denken ist, wenn er nicht mehr daran denken kann. Das Haus ist bestellt – es ist vollbracht. Und dann gab es die Stunden in denen er innig gehofft hat, es möge doch nun ein Ende haben mit diesen Schmerzen. Stunden in denen er so gerne gesagt hätte: Vater, in deine Hände lege ich meinen Geist. Und dann gabs die Stunden, der Fragen, der Bitterkeit, der Verzweiflung, der Angst.

Vermutlich stimmt auch bei Jesus alles: Die Sorge um die Dagebliebenen, der Zweifel und das Vertrauen.

Etwas anderes würde mich auch sehr wundern. Würde nicht dazu passen dass Jesus doch auch ganz und gar Mensch war. Ein solcher Tod und ein so früher Tod wecken viele Zweifel. Seine Familie, seine Freunde haben nicht gewollt, dass er stirbt. Hat Gott es gewollt? Das sagen sie ja, die anderen Gekreuzigten, die Schriftgelehrten, sie alle. Gott hat es nicht verhindert, Gott hat es zugelassen, hat stundenlang nicht eingegriffen. Also trägt er Verantwortung. Auch wenn mir das nicht gefällt.

Mir gefällt vieles nicht. Ich habe auch viele Zweifel, warum Gott manches zulässt und etwas anderes nicht verhindert.

Karfreitag ist auch Tag der Ratlosigkeit. Und er wäre es auch geblieben, gäbe es Ostern nicht. Dieser Karfreitag Jesu, unsere Karfreitage sind auch Tage der Sprachlosigkeit. Ich hätte es auch nicht gewollt, dass Jesus stirbt. Viele unter uns wollten nicht Abschied nehmen in der Familie, unter Freunden, Nachbarn. Menschen, die man mochte. Wer will schon Abschied nehmen und die immer wieder kehrenden Bilder aus den Intensivstationen oder von den Friedhöfen sehen. Wir wollen es nicht. Will Gott es denn? Das wüsste ich gerne. Dann wäre er so ganz anders, als ich ihn mir vorstelle.

Karfreitag ist sprachlos. Was denkt Gott, während sein Sohn am Kreuz Schmerzen hat und nach ihm ruft, ihn anbetet und dann stirbt? Weint Gott dann? Oder darf man so von Gott nicht reden?

Oder will er nicht vielmehr, dass auch wir standhalten? Dieses Kreuz aushalten, und auch andere Kreuze aushalten.

Ich will beim Kreuz Jesu bleiben. Nicht weggehen und nicht wegsehen. Es macht ein Leben nicht leichter, aber tiefer. Das glaube ich ganz fest. Weil Jesus das auch geglaubt hat. Er ist nie weggegangen. Ist nicht den einfachen Weg gegangen. Auch dann nicht, wenn er für seine Sache einstehen musste, wenn es Streit und Anfeindungen gab. Auch dann nicht, wenn er mit dem Leid anderer Menschen konfrontiert war und sicher auch lieber den Kopf abgewendet und die Gedanken abgeschaltet hätte.

Wie weit geht heute unsere Liebe, die standhält, unser Mut, dieser entsetzlichen Pandemie ins Auge zu schauen. Unsere Kraft, auch weiterhin das unsere zu tun, damit wir geschützt sind und andere schützen. Unsere Liebe, dennoch Kontakte zu halten. Unser Verzeihen, auch wenn es Fehler gibt in der Pandemiebekämpfung. Unsere Geduld, nicht vorschnell Menschen zu verurteilen, auch wenn sie so ganz anders agieren und reagieren.

Die Liebe Gottes zu uns kennt keine Grenzen. Auch das sagt Karfreitag.

Tod und Leben gehören zusammen. Das Leben ist ein unendlich wertvolles Geschenk, sagt der Karfreitag. Das Leben ist, gerade wenn es bedroht ist, etwas, an dem wir wachsen können und erblühen dürfen. Das Leben ist ein Geschenk – und manchmal muss man das nur sehen, nur mit offenen Händen empfangen, nur dankbar annehmen. Manchmal trotzig. Dennoch. Die Liebe, die Freundschaft, der Sonnenschein, das Glück auf einem Berg oder im Wald oder auf dem Wasser, das Lob und der Glaube. Es legt sich eine neue Welt über den Gekreuzigten. Über unsere Toten. Über alle. Gott weiß viele Wege, sich zu zeigen.

Jesus bleibt Gottes geliebtes Kind. Und sagt uns: Auch Du bist mein geliebtes Kind. Und Du bleibst es, mag kommen, was wolle. Ich sehe dich. Du bist nicht allein. Du bist wie wir alle geliebtes, wertvolles Kind Gottes. Der Todeskampf Jesu in unserem Predigttext wirkt zuerst wie ein einsamer, verzweifelter Kampf. Gegen Schmerzen, Häme und Hass, gegen den Tod. Und niemand da, der ihn unterstützt?

Und doch: In der Sekunde des Todes zerreißt der Vorhang im Tempel. Er war die Grenze zwischen dem Raum den die Menschen betreten durften und dem Allerheiligsten, das nur Gott und den Priestern vorenthalten war. Diese Grenze ist weg. Gott ist da. Mitten unter uns getreten. Hier in dieser Kirche, in unsere Leben.